Erzwungene Veränderungen – Fluch oder Segen?
Auch wenn wir als Eventagentur schon länger Workshops zum Thema Agilität durchführen und bei unseren Veranstaltungen sehr oft Spontaneität gefragt ist hat uns das, was im ersten Quartal 2020 eingetreten ist eiskalt erwischt und auch zunächst ziemlich ratlos zurückgelassen. In den ersten Wochen waren die Hoffnung und der Tenor bei uns intern wohl schon eher der, dass es schon nicht so schlimm sein wird…
Als dann nach und nach Veranstaltungen auch in weiter Ferne abgesagt wurden, zum Beispiel bereits vor April 2020 ein Event das jetzt, also ein Jahr später hätte stattfinden sollen, wurde uns doch langsam mulmig. Aus heutiger Sicht war diese Entscheidung unseres Kunden natürlich goldrichtig, schließlich ging es um 450 Mitarbeiter eines Konzerns, in der aktuellen Situation natürlich völlig undenkbar.
Jedoch hat denke ich keiner von uns damit gerechnet, dass das Ganze nach einem Jahr noch immer so einen großen Einfluss auf unsere Branche haben wird. Mit dem Wissen von heute schwankt die Wahrnehmung zwischen „Joa, jetzt werden ja alle geimpft und ab Sommer wird alles wieder normal.“ und „Ob es wohl jemals wieder Veranstaltungen in dieser Größenordnung geben wird, bei denen man indoor völlig unbeschwert und ohne Einschränkungen zusammen sein kann?“.
Man weiß es nicht.
Das Positive aus der Krise ziehen sollte die Devise sein
Tatsächlich haben wir erst gestern just die oben erwähnte Veranstaltung mit den 450 Mitarbeitern von Februar 2022 in den Sommer 2022 geschoben, und wieder sagt das Event-Herz, das so gerne endlich wieder richtig geile Events durchführen will „Ach komm, bis dahin ist doch alles wieder gut!“ und doch meldet sich inzwischen der Verstand doch auch recht deutlich zu Wort….Letztlich bleibt uns nicht anderes übrig, als hoffen und planen, auch wenn manches wieder für die Tonne sein könnte. Die Entscheidung in den Sommer zu schieben, wo man auch draussen sein kann, Lüften nicht zu Frostbeulen führt und rückblickend im letzten Jahr die pandemische Lage bei sommerlichen Temperaturen und mehr Outdoor Aktivitäten deutlich besser war als in den kalten Jahreszeiten, ist durchaus nachvollziehbar. Dennoch sind wir einfach langsam etwas „Verschiebungsmüde“….
Aber man muss rückblickend nach etwas mehr als einem Jahr Pandemie dennoch sagen, dass wir durchaus auch positive Aspekte aus der ganzen Sache ziehen können. Wir haben unglaublich viel gelernt im letzten Jahr, mussten an manchen Stellen über uns hinauswachsen und uns weit aus unserer Komfortzone bewegen. Das war sicher nicht immer angenehm, aber zu sehen, dass man auch ganz andere Formate bespielen kann und auch die digitale Welt ihre guten Seiten hat, das hat definitiv unsere Horizonte erweitert und uns motiviert weiter zu machen. Wir sind sehr froh, dass wir durch unsere Kunden gezwungen waren, neue Wege mit zu gehen, anstatt den Kopf in den Sand zu stecken und abzuwarten.
Ob wir als Fullservice-Agentur den digitalen Eventbereich in unser Portfolio aufgenommen hätten, wenn es die Pandemie nicht gegeben hätte wage ich zu bezweifeln. Schließlich waren wir mit mehr als 100 Events im Jahr gut ausgelastet, bisher, also vor 2020.
Vieles, womit wir uns im letzten Jahr auseinandergesetzt haben war davor in unseren Augen Sache der Technikfirma, die wir ja Pandemie hin oder her zum Glück ab einer gewissen Eventgröße immer an unserer Seite haben. Und genau das ist in meinen Augen auch ein Vorteil, den man aus dieser Zeit ziehen sollte: wir sind viel enger zusammengerückt mit unseren technischen Partnern, es wurde viel mehr gemeinsam entwickelt und ausgelotet, getestet und ausprobiert. Wir mussten deutlich tiefer in die technischen Fragen eintauchen, um zu verstehen was wir tun, aber auch der klassische Technik-Dienstleister musste plötzlich Agenturleistungen übernehmen. Hier haben sich die Grenzen verschoben und zumindest aus unserer Sicht ist die Zusammenarbeit sehr viel intensiver und kreativer geworden. Man konnte sich gegenseitig auf neuem Terrain an die Hand nehmen und supporten und dabei einiges lernen.
In den letzten 12 Monaten haben wir richtig coole Projekte umgesetzt und in die Welt gestreamt, die wir uns ohne die pandemische Lage vermutlich nicht zugetraut hätten. Und genau das ist die Vokabel auf die es meines Erachtens ankommt aktuell: trauen. Man muss sich Dinge zutrauen, sich auf neue Wege trauen und eben auch vertrauen. Eine große Portion Mut gehört auch dazu, denn letztlich betritt man in vielen Bereichen quasi Neuland. Aber, da die Situation für alle gleich neu und ungewohnt ist ist es auch durchaus vertretbar, Fehler zu machen und Umwege zu gehen. All das ist besser, als nichts zu tun.
Wenn auch der letzte gemerkt hat, was für Möglichkeiten digitale oder hybride Eventkonzepte bieten, dann ist es zu spät für Fehler, zu spät um auszuprobieren, denn dann sind hybride Konzepte schon lange Bestandteil der neuen Normalität.
Die neue Normalität..wann soll das sein?
Auch ein Begriff, der in der Pandemie geprägt wurde. Was wird sie bringen diese neue Normalität und wann fängt sie an? Oder sind wir gar schon mittendrin? Auch hier herrscht große Ratlosigkeit, alle Annahmen sind spekulativ und dennoch wünschen sich die meisten in vielen Bereichen, dass es wieder wird wie früher. Auch das könnte ein Learning sein, dass es zu ziehen gilt: Dankbarkeit für das was wir bisher als vollkommen selbstverständlich angesehen haben. Unsere „alte Welt“ kam uns nicht so wirklich sensationell toll vor in vielen Bereichen, und doch würden wir sie mit Kusshand jetzt sofort wieder zurücknehmen.
Das Thema, wann man unbeschwert mit vielen Menschen auf engstem Raum ohne Abstand und Maske beisammen sein kann ist für mich das mit den meisten Fragezeichen. Fühlt es sich mittlerweile schon unangenehm an, wenn an der Supermarktkasse jemand nicht die 1,5 Meter Abstand einhält, wie wird es dann sein, sich bei einem Konzert in letzter Minute in die vorderen Gefilde durchzuschlagen? Aneinander gequetscht wie die Ölsardinen – kann es das überhaupt jemals wieder geben? Und die andere Frage: fehlt mir das denn?
Große Veranstaltungen im geschäftlichen Kontext sind hier denke ich weniger kritisch, da besser planbar und mit einem ausgefeilten Hygienekonzept sicher schon bald wieder durchführbar. Auch hier wird es allerdings sicher Verhaltensschemata geben, die sich verändern im Umgang. Denkt man zum Beispiel an große Messen, bei denen man von Stand zu Stand tingelt und hier mal in ein Bonbonglas greift, dort etwas mit den ausliegenden Kugelschreibern ausfüllt, oder sich ein Häppchen von einem Tablett nimmt – das sind vermutlich alles Aktionen die man in Zukunft eher unterlässt.
Notwendige Übel loswerden im neuen Kontext
Was die Veranstaltungen im letzten Jahr am meisten von den Konferenzen davor unterscheidet ist die Dauer. Plötzlich werden die Inhalte für die man vorher 1,5 Tage anberaumt hatte in gut 3 Stunden abgefrühstückt. Und das geht tatsächlich, plus ist am Ende alles gesagt. Vordergründig primär weil bei digitalen Veranstaltungen das Abspringen sehr viel einfacher ist, als sich vor den Augen von 500 präsenten Teilnehmern aus dem Tagungsraum zu verkrümeln. Richtig, das stimmt. Aber auch ein im letzten Jahr oft diskutierter Grund ist die Aufmerksamkeitsspanne. Man könne sich nicht so lange am Stück konzentrieren, der Zuschauer braucht Abwechslung, Szenenwechsel etc.
Aber ist die Konzentrationsspanne vor Ort denn länger, brauche ich da keine Szenenwechsel? Kann ein Speaker hier durchaus guten Gewissens durch 40 Seiten Powerpoint mit kleiner Schrift führen und uns stundenlang frontal berieseln? Ich wünsche mir, dass manches was wir bei digitalen Events eingeführt haben auch den Weg in die Präsenz schafft. Haben wir uns denn bei klassischen Events je Gedanken über die sogenannte „Customer Journey“ gemacht? Im Marketing geht man diesen Weg schon lange, der aufzeigt wie man den Kunden bis hin zum Kauf eines Produktes begleitet. Bei Konferenzen kam das meines Erachtens bisher zu kurz, hat aber jetzt durch die erzwungene Digitalisierung von Events große Bedeutung gewonnen. Man muss eine Eventplattform finden, die es dem Teilnehmenden möglichst einfach macht, mit Spaß und Engagement bei einem Event zu partizipieren. Der User muss abgeholt und bei Laune gehalten werden.
Aber genau das ist doch bei einem Meeting in Präsenz auch wichtig, oder ist langweilen da legitim? Nein, langweilen sollte man auch da nicht, und dennoch denke ich erinnert sich jeder von uns im geschäftlichen Kontext an Vorträge die einfach viel zu lang waren, bei denen der Fokus auf das Wesentliche komplett gefehlt hat und man im schlimmsten Fall am Ende nicht mal in Erinnerung behalten hat, was die elementaren Kernaussagen gewesen sind.
Das Geheimnis der Langeweile ist es, nichts ungesagt zu lassen. (Voltaire)
Ich denke es würde definitiv nicht schaden in diese Richtung ein paar Learnings aus den digitalen Veranstaltungen in die herkömmliche Event-Welt mitzunehmen. Sich mehr auf das Wesentliche fokussieren, relevante Inhalte kommunizieren, anstatt die Stunde Redezeit voll auszukosten und mit leeren Worthülsen zu füllen. Der Unterschiede zwischen Homeoffice und einem großen Meetingraum ist ja sogar noch der, dass ich mich während des Zuhörens bewegen kann, ich kann frische Luft reinlassen, etc. so dass mein Geist online im Grunde fast fitter und besser für die Aufnahme von Informationen gewappnet sein sollte. Also entbehrt es jeder Logik, dass es bei digitalen Events auf Relevanz und kurze, knacke Slots ankommt, in Präsenz die Programmpunkte aber immmer Länge haben. Lieber mehr Pausen, ausreichend Gelegenheit zu netzwerken einbauen und sich inhaltlich auf das absolut Notwendigste konzentrieren.
Ich nehme mir in jedem Fall vor in Zukunft beim Kunden zu hinterfragen, ob es wirklich 6 Stunden frontale Beschallung sein muss, ob das alles relevante Themen sind und mit der Idee aufzuwarten, wie man auch in Präsenz mehr mit Szenenwechseln erreichen könnte. Und defintiv freue ich mich wieder auf große Veranstaltungen mit „echten“ Menschen in realen Räumen, muss aber zugeben, dass digital auch Spaß machen kann und die Möglichkeiten faszinierend und schier endlos sind. Mal sehen was davon bleibt, wie sich die Meetingkultur generell verändert und wo wir in einem Jahr stehen.